MK:

Uykusuz - Schlaflos

Ausgewählte Titelblätter der gleichnamigen türkischen Satirezeitschrift (2007 – 2021)

 Habibi Kiosk
 Kostenfrei
 Habibi Kiosk
 Kostenfrei

Täglich zu sehen im Habibi Kiosk der Münchner Kammerspiele in der Maximilianstraße 26-28 

Uykusuz ist der Name einer der wichtigsten und politisch kritischsten Satirezeitschriften der Türkei und bedeutet „schlaflos“. Die Satire – vor allem die satirische Karikatur - hat in der Türkei eine lange Geschichte und hat wahrscheinlich schon einigen Autor*innen, Zeichner*innen und Verleger*innen schlaflose Nächte bereitet. Barış Uygur – einer der verantwortlichen Redakteure der wöchentlichen Zeitschrift – führt die Namensfindung auf die Angewohnheit der Redaktionsmitglieder zurück, die Arbeit die ganze Woche lang aufzuschieben und dann die letzten Tage vor Abgabeschluss sich die Nächte um die Ohren zu schlagen. Aber auch auf politischer Ebene ist die Arbeit der türkischen Satiriker*innen – aufgrund der immer strikter werdenden Zensurauflagen der Erdogan-Regierung - nicht gerade schlafrhythmusfördernd.

Die Geschichte der satirischen Karikatur in der Türkei reicht bis in die 2. Hälfte des 19. Jhd’s zurück. Mit dem Aufkommen der Zeitung als Nachrichtenmedium entstand auch der Bedarf nach Karikaturen und es entwickelte sich sehr schnell die Gilde der Karikaturisten. Deren Zahl stieg so rasant an, dass ebenfalls am Ende des 19 Jhd’s schon die erste Karikaturzeitschrift in Istanbul herauskam.

Seitdem erfreut sich dieses Format der Satirezeitschrift, die vorwiegend auf der qualitativ hochwertigen Arbeit von begabten Zeichner*innen basiert hoher Beliebtheit. Vor allem in der Gründungsphase der Türkischen Republik und in der Nachkriegszeit entwickelte es sich enorm weiter. In den Vierziger Jahren gesellten sich auch schon die ersten Zeichnerinnen zu der Männerdomäne hinzu – zu nennen wäre da etwa Selma Emiroglu-Aykan, die sogar später nach München übersiedelte und hier bis zu ihrem Lebensende verweilte.

Vor allem aber in der turbulenten Zeit der 70‘er Jahre entwickelte sich die Karikatur-Satire-Zeitschrift zu „dem“ Medium, das die breite Bevölkerung in ihrer eigenen Sprache zu erreichen vermochte. Dies wurde im Wesentlichen durch die Arbeit des legendären Redakteurs und Zeichners Oğuz Aral ermöglicht, der mit seiner Zeitschrift Gir Gir einen ganz neuen Weg einschlug: er wendete sich an alle Schichten der Bevölkerung, in dem die Humorist*innen der Gir Gir die vormals verpönte Sprache des einfachen Volkes als nimmer enden wollende Quelle des Humors entdeckten. Sie bemühten sich redlich um den „großen unbeachteten Rand“ der Gesellschaft, indem sie sich auch zeichentechnisch mächtig ins Zeug legten. Auch wurden lange Fortsetzungsgeschichten entwickelt, die mit liebevoll ausgedachten Details geschmückt wurden. Die populärsten Charaktere waren jedoch immer die alltäglichen Menschen, die zu irren Typen avancierten: so zum Beispiel der durchgeknallte Nichtsnutz Ridvan von Bülent Arabacıoğlu, der kleine Schlaumeier Avanak Avni von Oğuz Aral, der ungebildete Welterklärer Muhsin Bey von Latif Demirci, oder aber die abenteuerlustige Schulschwänzerin Çılgın Bediş von Özden Öğrük.

Tatsächlich festigte sich der Humor und die Komödie als Massengenre der Moderne in den krisengebeutelten Jahren ab den 70‘ern seinen festen Platz in Film, Funk, Fernsehen, aber eben auch in den Medien in Form von Karikaturzeitschriften. In der Gir Gir wurden nicht nur Karikaturen veröffentlicht, sondern auch Menschen allen Alters dazu ermutigt, ebenfalls zu Zeichnen und ihre humoristischen Fähigkeiten zu entwickeln. Fester Bestandteil jeder Auflage war zum Beispiel die Leserseite, in der ausgewählte eingesandte Zeichnungen von Leser*innen veröffentlicht und besprochen wurden. Dies regte tausende junge Menschen zum Zeichnen an. Das Resultat war ein explosionsartiger Anstieg der Auflagen. Da die Anzahl der talentierten Zeichenkünstler*innen es hergab, wurden nach und nach immer mehr Medien in diesem Stile gegründet, die die von Oğuz Aral angefangene Strömung perfektionierten und weiterentwickelten: Carşaf, Fırt, Limon, Leman, Lombak, Penguen und eben Uykusuz…nur um einige genannt zu haben. Mit der Zeit rekrutierten sich aus den Redaktionen der Satirezeitschriften Schriftsteller*innen, Drehbuchautor*innen und auch Stand Up Comedians, wie zum Beispiel der äußerst erfolgreiche Cem Yılmaz.

Die „Uykusuz“ gehört zusammen mit der „Penguen“ und vielen anderen aktuellen Zeitschriften in die postmoderne Spätphase der türkischen Karikaturzeitschriften. Die türkischen Satirezeitschriften durchlaufen gerade eine schwierige Phase: die Verbreitung des Internets sorgt zwar für eine enorme Verbreitung der einzelnen Zeichnungen, die an popularität eher gewinnen, jedoch wird die Kontrolle über die Einnahmen für die Redaktionen immer schwieriger. Hinzu kommt die äußerst zensurfreudige politische Führung, die sich auch im Bereich der Meinungsfreiheit immer mehr beschränkende Befugnisse erteilt.

Viele haben schon kapituliert und den Betrieb eingestellt. Einige wenige kämpfen unter widrigsten Bedingungen ums überleben. So auch die Uykusuz. Die Ausstellung im Habibi Kiosk zeigt eine Auswahl der Titelblätter der Uykusuz von 2007 bis jetzt. Zusammengestellt wurde sie von dem Redakteur Barış Uygur. Uygur mußte auf Grund seiner Tätigkeit als verantwortlicher Redakteur für die politischen Inhalte das Land verlassen. Die Titelblätter der Uykusuz sind traditionell schon immer kritische Inhalte in Bezug auf die Landespolitik. Der ehemalige Premier und jetzige Präsident des Landes Recep Tayyip Erdogan ist deswegen auf ihnen sehr oft zu sehen. Das ist auch der wesentliche Grund für das jetzige Exilleben Uygurs, der mittlerweile in Berlin den Interdictum Verlag gegründet hat, über welchen er kritische Literatur aus der Türkei und aus dem Nahen Osten veröffentlicht.

Das Erstlingswerk des Verlages heißt: „Der letzte Deutsche“ und ist erst kürzlich erschienen. Es handelt sich um eine Graphic Novel aus der Feder des türkischstämmigen Berliner Autoren Hakkı Kurtuluş. Gezeichnet wurde es vom Uykusuz-Zeichner Cansın Çağlar. Die Geschichte erzählt von einem Dorf von Wolga-Deutschen namens „Paulinenhof“, welches vom Zaren während der Russland-Osmanen-Kriege im 19. Jhd an die Grenzregion verlegt wurde. Irgendwann übernahmen dann die Osmanen und ab da begann ein relativ unscheinbares Leben der Dorfbewohner, die nun als türkische Staatsbürger mit deutscher Abstammung im weitesten Osten der Türkei lebten….bis das Anwerbeabkommen in den 60‘er Jahren sie zurück in ihre Urheimat Deutschland lockte. Eine tragikomische Geschichte vom Entwurzelung und Identitätsverwirrungen.

Die Ausstellungseröffnung „Uykusuz Titelblätter“ findet Online im Rahmen der Talkrunde „Dies Das“ am Mittwoch, dem 16.06.2021 um 21:00 Uhr statt. Der Verleger Barış Uygur und der Zeichner Cansın Çağlar werden an dem Online Gespräch teilnehmen.