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Fragen an das ukrainische Ensemble in „Green Corridors“

Für diese Produktion haben sich vier besondere Künstlerinnen aus der Ukraine als Gäste an den Münchner Kammerspielen verpflichtet. Welche Gedanken haben Sie während dieser ungewöhnlichen Arbeit begleitet? Lesen Sie hier ihre persönlichen Antworten und Informationen zu den Biografien der Künstlerinnen.

TANYA

Wie erlebst Du die Proben zu „Green Corridors“? Was dachtest Du vor Probenbeginn, wie hat sich Deine Erfahrung inzwischen verändert?

Tanya: Я вважала, що не зможу робити щось в театрі про війну, але не говорити про війну в Україні неможливо. Тому минулий рік я не займалася акторством, а здебільшого працювала як педагог з українськими дітьми. Коли прочитала п’єсу, була вражена кількості іронії, асурбу та з тим любові до людей. Відчула, що треба спробувати повернутіся в профессію і зараз радію що не побоялася.

Tanya: Ich dachte, ich könnte im Theater nichts über den Krieg machen, aber es ist ebenso unmöglich, nicht über den Krieg in der Ukraine zu sprechen. Deshalb habe ich letztes Jahr nicht geschauspielert, sondern hauptsächlich als Pädagogin mit ukrainischen Kindern gearbeitet. Als ich Natalka Vorozhbyts Stück las, war ich beeindruckt von dem Maß an Ironie, Absurdität und gleichzeitig von der Liebe zu den Menschen darin. Ich spürte, dass ich versuchen sollte, zur Schauspielerei zurückzukehren, und jetzt bin ich sehr froh, dass ich es getan habe.

In „Green Corridors“ arbeiten wir mit einem intensiven Sprachmix, vor allem habt ihr ukrainischen Spielerinnen alle viel deutschen Text gelernt. Wie kommt der Text in deinen Körper? Wie ist es, Teile deiner Figur auf Deutsch zu spielen?

Tanya: Німецька мова дає додатковий шар для гри та розуміння історії. Героїні опиняються на чужині, пристосовуються і з часом вивчають мову. Тому блище до фіналу звучить здебільшого німецька. У виставі є сцени, які ми називаємо «Мрія соціального робітника», тому що українки жваво спілкуються німецькою. Також з чужою мовою нема емоційного зв’язку. Моя героїня хоче відділитися від свого досвіду, тому розказує про те що з нею сталося в Бучі саме німецькою.

Tanya: Die deutsche Sprache verleiht der Handlung und dem Verständnis der Geschichte eine zusätzliche Ebene. Die Figuren gehen in ein fremdes Land, passen sich dort an und lernen schließlich die Sprache. Deshalb hören wir gegen Ende des Stücks hauptsächlich Deutsch. Es gibt Szenen in dem Stück, die wir „Der Traum einer Sozialarbeiterin“ nennen, weil die ukrainischen Frauen fließend Deutsch sprechen. Es gibt auch keine emotionale Verbindung zu einer fremden Sprache. Meine Figur will sich von ihren Erfahrungen distanzieren, also erzählt sie auf Deutsch, was sie erlebt hat.

Wie gehst Du mit deinen persönlichen Erfahrungen im Krieg während der Arbeit an Deiner Rolle in „Green Corridors“ um? Spielen sie eine Rolle?

Tanya: Нещодавно Оксана Лемішка сказала, що зараз вже не лишилося українців без досвіду втрати. На жаль це гірка правда. Поки ми граємо виставу, а глядач мирно сидить у залі в Україні продовжують гинути люди. Я з цим болем намагаюся жити і також граю виставу. Але попри все, цей проект став лікувальним, на наших репетиціях багато сміху, та обміну енергією. Попри біль, це дуже життєстверджуюча вистава.

Tanya: Unsere Dramaturgin Oksana Lemishka sagte kürzlich, dass es heute keine Ukrainer mehr gibt, die keine Erfahrung mit dem Verlust gemacht haben. Leider ist das eine schreckliche Realität. Während wir spielen und das Publikum friedlich dem Stück zuschaut, werden in der Ukraine weiterhin Menschen ermordet. Ich versuche, mit diesem Schmerz zu leben und gleichzeitig zu spielen. Aber trotz alledem ist das Projekt für mich zu einer heilenden Erfahrung geworden, und unsere Proben sind voller Lachen und Energieaustausch. Ich bin allen im Produktionsteam dankbar für die unterstützende und warme Atmosphäre. Ich denke, wir schaffen eine sehr lebensbejahende Aufführung.

Wenn Du heute eine gute Fee treffen würdest, welche drei Wünsche soll sie Dir erfüllen?

Tanya: Українці мають одне бажання для всіх них. Перемоги та миру для України

Tanya: Die Ukrainer haben einen einzigen Wunsch für alle. Sieg und Frieden für die Ukraine.

Tanya Kargaeva Ukrainische Schauspielerin, Puppenspielerin, Schauspiellehrerin und Performance-Künstlerin. Sie wurde in Mariupol geboren und machte 2009 ihren Abschluss an der Nationalen Universität für Theater, Film und Fernsehen in Kyjiw. Studierte an der ALBA Technique in New York (2015) und der Jan Fabre Teaching Group in Antwerpen (2017 und 2022). Tanya Kargaewa spielte Hauptrollen in Kinofilmen, Fernsehserien und Bühnenproduktionen in der Ukraine, Georgien, Russland, Großbritannien, Kasachstan und Finnland. Die Videoinstallationen Garden und Mono der Künstlerin Sasha Pirogova, an denen Tanya beteiligt war, nahmen an der Kunstbiennale in Venedig und am Future Generation Art Prize im PinchukArtCenter in Kyjiw teil. Im Jahr 2018 nahm sie an der Aufführung „The Creatures of Prometheus“ des London Philharmonic Orchestra teil (unter der Leitung von Vladimir Yurovsky). Gewinnerin des Preises für die beste weibliche Rolle des Internationalen Theaterfestivals Homo Ludens (2011) und der besten weiblichen Rolle des Nationalen Theaterfestivals Premiers of the Season (2014). Nach ihrem Umzug nach Deutschland im Jahr 2022 erhielt sie Stipendien des Berliner Senats und des Goethe-Instituts/Artist At Risk, um theaterpädagogische Programme für Kinder und Erwachsene in Berlin durchzuführen.

SOFIIA

Wie erlebst Du die Proben zu „Green Corridors“? Was dachtest Du vor Probenbeginn, wie hat sich Deine Erfahrung inzwischen verändert?

Sofiia: Ich muss sagen, die Proben von“Green Corridors“ machen mir richtig viel Spaß. Ich habe es nicht erwartet, vor allem wegen dem Thema vom Stück. Es gibt sehr schwierige Teile in dem Stück, aber das Team von „Green Corridors“ ist so cool, dass man das Gefühl hat, man unterstützt einander um durch die schwierigen Teile durchzukommen. Und es gibt sehr witzige Teile, über die wir gemeinsam lachen können.

Als Zeichnerin finde ich besonders gut, dass die Schauspieler mit den von mir gezeichneten Sachen interagieren. So wird die Zeichnung nicht nur ein Designelement, sondern ein Teil der Erzählung.

Wovon handelt das Stück für Dich, was bringt es in Dir hervor?

Sofiia: Für mich ist das Stück zwar grotesk, aber auch sehr wahr. Ich habe einige Dialoge oder Situationen darin entdeckt, die ich oder meine Bekannten erlebt haben. Und ich finde es extrem wichtig, dass „Green Corridors“ nicht nur von den Schrecken des Krieges und von Traumata handelt, sondern von der Kraft der Menschen. Diese Geflüchteten sind nicht nur Opfer, sondern auch starke Frauen, die einen Willen zum Leben haben.

Welche drei Wünsche würdest Du heute an eine gute Fee richten?

Sofiia: Ich würde mir von ihr wünschen, dass: a) Putin ins Gefängnis kommt, b) Russland sich irgendwo anders befindet, so dass die Ukraine und Russland keine gemeinsame Grenze haben, c) dass Menschen die durch den Krieg traumatisiert sind, die nötige psychologische Hilfe bekommen, und dass die Therapie wirkt.

Sofiia Melnyk ist eine ukrainische Illustratorin und Animationskünstlerin. 2018 schloss sie ihr Studium am Animationsinstitut der Filmakademie Baden-Württemberg ab. Sie illustrierte diverse Bücher, Plattencover, arbeitete als Animationskünstlerin, als Zeichnerin für Kurzfilme bzw. mit ihren Animationen für Filmfeatures sowie für Fernsehdokumentarfilme. Sie gründete mit Janina das feministische Kreativkollektiv „Kinky Udders“, das mit seinen humorvollen Animationen über die weibliche Perspektive auf Geschlecht und Körper bereits Teil einiger Ausstellungen war. Weiterhin arbeitet sie im Kontext von Theater und Performance. Sofiia Melnyk zeichnete für das GOGOL FEST, das Dakh Theatre und das Deutsche Theater Berlin. Seit der russischen Invasion sucht sie sich thematisch angedockte künstlerische Projekte, um die ukrainische Kulturszene zu unterstützen.

MARYNA

Wie erlebst Du die Proben zu „Green Corridors“? Was dachtest Du vor Probenbeginn, wie hat sich Deine Erfahrung inzwischen verändert?

Maryna: Мені дуже подобається працювати в команді „Зелених коридорів“. Немає ніяких емоційних змін у відношенні до проекту до початку репетаційного процесу, і вже в процесі. Як і спочатку, так і зараз я радію, що ми маємо можливість говорити про нас і нашу країну, про нашу культуру, про нашу трагедію.

Maryna: Die Arbeit im Team von „Green Corridors“ macht mir wirklich Spaß. Meine Einstellung zu dem Projekt hat sich weder vor noch während des Probenprozesses geändert. Genau wie am Anfang bin ich froh, dass wir die Möglichkeit haben, über uns und unser Land, unsere Kultur und unsere Tragödie zu sprechen.

Wovon handelt dieses Stück für dich, was löst es in dir aus?

Maryna: Цей твір розповідає мені про досвід, який українці переживають зараз, і про досвід, який вони переживали й раніше. Цей твір говорить мені про те, що яким би чином нас не хотіли зламати, ми все одно стаємо сильнішими.

Maryna: Diese Arbeit erzählt mir von den Erfahrungen, die die Ukrainer jetzt machen, und von den Erfahrungen, die sie früher gemacht haben. Diese Arbeit zeigt mir, dass wir immer noch stärker werden, egal wie sehr sie uns brechen wollen.

In „Green Corridors“ arbeiten wir mit einem intensiven Sprachmix, vor allem habt ihr ukrainischen Spielerinnen alle viel deutschen Text gelernt. Wie kommt der Text in deinen Körper? Wie ist es, Teile deiner Figur auf Deutsch zu spielen?

Maryna: Взагалі цікаво грати німецькою. Є свої труднощі, але вони вирішуються швидко і без особливих проблем. Також розуміння того, що німецькою мовою суть проблем донести буде легше до німецького глядача, значно збільшує мотивацію.

Maryna: Insgesamt ist es interessant für mich, auf Deutsch zu spielen. Es gibt zwar einige Schwierigkeiten, aber die werden schnell und problemlos gelöst. Auch die Erkenntnis, dass es leichter sein wird, einem deutschen Publikum das Wesentliche unserer Probleme auf Deutsch zu vermitteln, erhöht meine Motivation erheblich.

Wie gehst Du mit deinen persönlichen Erfahrungen im Krieg während der Arbeit an Deiner Rolle in „Green Corridors“ um? Spielen sie eine Rolle?

Maryna: Наш особистий досвід війни - це загальна трагедія всієї країни. Мені важко розділяти цей досвід на особистий чи неособистий. Кожна ситуація, яка прописана в тексті болісно відкликається в мені, як і в кожному з нас, мені здається.

Maryna: Unsere persönliche Erfahrung des Krieges ist eine gemeinsame Tragödie für das ganze Land. Es fällt mir schwer, diese Erfahrung in persönlich oder nicht-persönlich zu unterteilen. Jede Situation, die in dem Text beschrieben wird, ist für mich schmerzlich spürbar, wie für jeden von uns, denke ich.

Wenn Du drei Fragen an uns Europäer stellen könntest, was würdest Du fragen?

Maryna: Я б не хотіла питати, я б хотіла говорити. Кожен раз, коли я маю можливість говорити закордоном, я говорю про те, що Україні потрібна зброя. Зараз це найважливіший ресурс, який нам може надати Європа. Завдяки зброї можна захистити набагато більше життів, ніж без неї.

Maryna: Ich möchte nicht fragen, ich möchte sprechen. Jedes Mal, wenn ich die Gelegenheit habe, im Ausland zu sprechen, sage ich, dass die Ukraine Waffen braucht. Das ist die wichtigste Ressource, die Europa uns im Moment zur Verfügung stellen kann. Mit Waffen können wir viel mehr Menschenleben schützen als ohne sie.

Wenn Du heute eine gute Fee treffen würdest, welche drei Wünsche soll sie Dir erfüllen?

Maryna: Якщо добра відьма компетентна в питанні знищення тиранів з їх ідеологією, тоді нам є про що поговорити.

Maryna: Wenn die gute Fee in der Lage ist, Tyrannen mit ihrer Ideologie zu vernichten, dann haben wir jetzt etwas zu besprechen.

Maryna Klimova wurde am 31. Mai 1991 geboren. Von Kindheit an engagierte sie sich in Theaterkreisen, später studierte sie fünf Jahre lang an der Kotljarewski-Charkiwer Nationalen Universität als Theater- und Filmschauspielerin. Im dritten Studienjahr trat sie in das Staatliche Puschkin-Theater in Charkiw ein. Dort arbeitete sie drei Jahre lang. Später zog sie nach Odessa und kam an das nach Vasyl Vasylko benannte Ukrainische Akademische Musik- und Schauspieltheater. Dort arbeitete sie sechs Jahre lang. Während sie in Odessa arbeitete, sprach sie für den Film „107 Mütter“ des slowakischen Regisseurs Peter Kerekes vor. Der Film wurde drei Jahre lang in einer Frauenkolonie gedreht. Später wirkte sie in Natalka Vorozhbits Film „Bad Roads“ mit. Im Jahr 2020 zog sie nach Kyjiw und begann im Left Bank Theatre zu arbeiten. Derzeit spielt sie in acht Vorstellungen in Kyjiw und in zwei Vorstellungen in Odessa. Maryna Klimova singt und spielt verschiedene Instrumente.

JULIA

Wovon handelt dieses Stück für dich, was löst es in dir aus?

Julia: Эта пьеса для меня не абстрактное произведение. Это моя сегодняшняя жизнь. Я лично знаю всех этих людей. Я вижу, как они меняются, как проламывают обстоятельства. Как из жертв становятся бойцами и как несут обретённую силу дальше, делясь ею со всеми.

Julia: Dieses Stück ist für mich kein abstraktes Werk. Das ist mein Leben heute. Ich kenne all diese Leute persönlich. Ich sehe, wie sie sich verändern, wie Umstände durchbrechen. Wie aus Opfern Kämpfer werden und wie sie die erworbene Macht weitertragen und mit allen teilen.

Wie erlebst Du die Proben zu „Green Corridors“? Was dachtest Du vor Probenbeginn, wie hat sich Deine Erfahrung inzwischen verändert?

Julia: Репетиции в „Зелёных коридорах“ стали для меня гигантским шагом. Образно говоря, я ожидала „лёгкой прогулки“, а получился извилистый подъём в гору. Освоение совершенно иного актёрского метода потребовал огромных ментальных и эмоциональных затрат. Зато более интересные работы у меня, кажется, не было никогда. И я очень благодарна Яну, своим партнёрам, всей группе за помощь и командную работу.

Julia: Die Proben in den „Green Corridors“ waren für mich ein Riesenschritt. Ich hatte einen „Spaziergang“ erwartet, aber der stellte sich als kurvenreicher Aufstieg heraus. Die Beherrschung einer völlig anderen Schauspielmethode erforderte enorme mentale und emotionale Kosten. Aber ich glaube, ich hatte noch nie einen interessanteren Job. Und ich bin Jan und der ganzen Gruppe sehr dankbar für ihre Hilfe und Teamarbeit.

Wenn Du heute eine gute Fee treffen würdest, welche drei Wünsche soll sie Dir erfüllen? Und welche drei Fragen würdest Du den Europäern stellen?

Julia: Три желания? Нет, только одно - сделай меня волшебницей. Тогда все свои вопросы можно было бы прокричать, не ограничиваясь тремя. Главный из них - „Неужели вы не видите, что мы своими телами прикрываем вас от агрессора, от бомбёжек, от смерти?“. А главное дать силы моей стране, моим людям чтобы выжить, выстоять, победить. А потом оплакать, отстроиться, процветать.

Julia: Drei Wünsche? Nein, nur einen - mach mich zu einer Zauberin. Dann könnten alle meine Fragen herausgeschrien werden, nicht auf drei beschränkt. Die wichtigste lautet: „Seht Ihr nicht, dass wir Euch mit unseren Körpern vor dem Angreifer, vor Bombenanschlägen und vor dem Tod bedecken?“ Mein wichtigster Wunsch: Gib meinem Land, meinem Volk die Kraft, zu überleben, zu gewinnen. Und dann trauern, wieder aufbauen, gedeihen.

Julia Slepneva wurde am 22.12.1965 in Simferopol auf der Krim geboren. Verheiratet, ein Kind, zwei Hochschulen. Sie arbeitete viele Jahre als Theater- und Filmschauspielerin, Fernsehjournalistin und -moderatorin. Sie ist viel gereist und hat in verschiedenen Ländern gelebt.