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Statement der Regisseurin Kamilė Gudmonaitė zu „Xata – Zuhause“

Ich bin in Litauen geboren, einem postsowjetischen Land. Als ich aufwuchs, war das Erste, was ich über die litauische Identität lernte, unser ständiger Kampf um Unabhängigkeit und Souveränität. Mehr als 100 Jahre unter russischer Herrschaft und 50 Jahre unter sowjetischer Besatzung haben uns beigebracht, wie kostbar die Freiheit ist. Meine Generation ist die erste unabhängige Generation nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, und wir kennen das Gewicht des generationenübergreifenden Traumas, das von unseren Großeltern und Eltern weitergegeben wurde: Wir tragen noch immer die Last des Schweigens, wir haben nicht gelernt, wie man in der Familie über wichtige Themen spricht, und wir müssen das völlig neu etablieren.

Wenn ich als Kind gefragt wurde, ob ich Russisch spreche, antwortete ich stolz, „Nein“ – obwohl ich es verstand. Erst jetzt realisiere ich, dass das eine politische Entscheidung war, die von einem Kind getroffen wurde. Seit der Unabhängigkeit haben die Litauer*innen versucht, alles zu tun, um sich von Russland zu distanzieren, sowohl intellektuell als auch wirtschaftlich. Wir wussten, dass wir den politischen Entscheidungen des Nachbarn nicht trauen konnten, und wir hatten immer Angst davor, dass sich die Geschichte wiederholen könnte.

Als der Krieg im Februar 2022 eskalierte, wurden unsere historischen Traumata an die Oberfläche gespült: Ich bemerkte, dass ich bei jeder Begegnung mit einem russischen Menschen körperliche Reaktionen voller Wut, Frustration und Schmerz bekam. Dies war eine schwere Erkenntnis: Ich erschrak und interessierte mich für meine Reaktionen, ich wollte mich damit auseinandersetzen: Wie kann ich auf die Teile meiner selbst schauen, die mir solche schwer kontrollierbaren, negativen Reaktionen verursachen? Kann ich mit Menschen sprechen, vor denen ich Angst habe? Was haben sie mit meiner Angst zu tun? Was verbirgt sich hinter meiner Angst?

Ich entschied mich, für „Xata – Zuhause“ sowohl ukrainische als auch russische Menschen aus München einzuladen, über ihre Erfahrungen zu sprechen und darüber, was sie im Zusammenhang mit dem unvorstellbaren und ungerechten Krieg füreinander empfinden. Mein Ziel war es, den Abgrund zu erforschen, der durch Jahrhunderte der Unterdrückung entstanden ist, und zu versuchen, ihm zu begegnen. Die Teilnahme an diesem Projekt hat mich an Orte gebracht, die ich mir nie hätte vorstellen können: Ich habe die große Leere gespürt, die sich nur schwer beseitigen lässt, und mir ist klar geworden, dass es in bestimmten Epochen der Geschichte nicht möglich ist, einen Schlussstrich zu ziehen. Manchmal bleibt keine Zeit für einen Dialog und wir können ihn nicht beschleunigen. Jede Heilung braucht ihre eigene Zeit, sie verläuft nicht linear, sondern in unkontrollierbaren Wellen, und wir müssen die Leidenden respektieren.

In diesem Stück treffen sich Ukrainer*innen und Russen*innen weder auf der Bühne noch während der Proben, und die Infrastruktur des Theaters wurde aus Respekt vor den Ukrainer*innen und ihrem Wunsch nach strikter Trennung umgestaltet.

Nach dem Beginn des Krieges wurde das Canceln der russischen Kultur in Litauen zum zentralen Thema, und wahrscheinlich könnte diese Aufführung in meinem Land nicht stattfinden. Ich riskiere also, missverstanden zu werden. Aber hier bin ich: Ich versuche zu verstehen.