MK:

Rainer Werner Fassbinder über „Die dritte Generation“

Eine Komödie in 6 Teilen
um Gesellschaftsspiele voll Spannung,
Erregung und Logik, Grausamkeit und Wahnsinn,
ähnlich dem Märchen, die man Kindern erzählt,
ihr Leben zum Tod ertragen zu helfen

Die dritte Generation könnte meinen:

  1. Das deutsche Bürgertum von 1848 bis 1933
  2. Unsere Großväter und wie sie das Dritte Reich erlebten und wie sie sich daran erinnerten
  3. Unsere Väter, die nach Ende des Krieges Chancen gehabt einen Staat zu errichten, der so hätte sein können, wie es humaner und freier vorher keinen geben hat, und zu was diese Chancen letztlich verkommen sind

Rainer Werner Fassbinder in einem Essay für die Frankfurter Rundschau, 2. Dezember 1978., wiederabgedruckt unter dem Titel „Die dritte Generation“, in: Michael Töteberg (Hrsg.): Rainer Werner Fassbinder: Filme befreien den Kopf. Essays und Arbeitsnotizen. Frankfurt am Main 1984, S. 73.

Die erste Generation war die von ´68. Idealisten, die die Welt verändern wollten und sich einbildeten, sie könnten das mit Worten und Kundgebungen tun. Die zweite, die Baader-Meinhof-Gruppe, ging von der Legalität zum bewaffneten Kampf und der totalen Illegalität über. Die dritte ist die von heute, die einfach agiert, ohne zu denken, die weder eine Ideologie noch eine Politik hat und die, sicher ohne es zu wissen, sich wie eine Schar Marionetten von anderen lenken lässt. (…)

Ich wollte herausstellen, dass die Überlegungen der einzelnen Figuren völlig zweitrangig sind im Vergleich zu dem Klima von Lärm und Getöse, in dem sie leben. Die Leute sind inzwischen schon so süchtig und entmündigt, dass sie es nicht mehr fertigbringen einen Knopf zu drücken, um sich mit einem Handgriff die Stille zurückzuholen. (…)

Wenn der Film eine Ideologie hat, so besteht sie darin, der „vierten Generation“ Ziele anzugeben. (…) Nur die Anarchisten sind heute in der Lage, die Gesellschaft zu verändern, ohne zu den Mitteln des Terrorismus zu greifen.

Rainer Werner Fassbinder, 1979, in einem Gespräch mit Luigi Rondo über Despair und Die dritte Generation, in: Michael Töteberg (Hrsg.): Rainer Werner Fassbinder: Die Anarchie der Phantasie. Gespräche und Interviews. Frankfurt am Main 1986, S. 106.