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Glossar zu historischen Biografien in „Green Corridors“

Drei völlig unterschiedliche historische Schlüsselfiguren mit ihren Konflikten aus den Jahren 1921, 1942 und 1959 tauchen in Natalka Vorozhbyts Stück auf: Olena Teliha (Autorin und Aktivistin), Stepan Bandera (Führer der Ukrainischen Nationalisten) und Mykola Leontowytsch (Komponist). Alle haben existentielle Erfahrungen mit dem (Über)leben im Exil. Finden Sie hier kurze Hintergrundinformationen.

Olena Teliha

*1906 in Iljinskoje bei Dmitrow, Gouvernement Moskau im Russischen Kaiserreich; †21. Februar 1942 in Babyn Jar, Kyjiw. Sie war eine ukrainische Dichterin, Schriftstellerin und Aktivistin der ukrainischen Kultur. Zunächst schreibt sie Poesie und journalistische Beiträge in ihrer russischen Muttersprache. Zwischen 1929 und 1939 lebt und arbeitet Teliha im Exil in Warschau. Sie erlangt als ukrainische nationalistische Dichterin Bekanntheit. Ende 1939 geht sie nach Krakau, wo sie ihren langjährigen Freund, ein Mitglied der Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN) Oleh Olschytsch trifft und ihre aktive Mitarbeit im kulturellen Bereich der Führung der ukrainischen Nationalisten beginnt. Nachdem 1941 Nazideutschland die Sowjetunion überfallen hat, zieht es Teliha zurück in die Ukraine. Im von den Deutschen besetzten Kyjiw wird sie Leiterin des Schriftstellerverbandes und Herausgeberin einer wöchentlich erscheinenden Literaturzeitschrift. Ihr werden Kollaboration mit den deutschen Besatzern vorgeworfen und antisemitische Äußerungen in der von ihr herausgegebenen Literaturzeitschrift nachgewiesen. Wenig später widersetzt sie sich den Anweisungen der nationalsozialistischen Besatzungsbehörden, denen die Aktivitäten der OUN missfallen. Trotz konkreter Warnungen weigert sich Teliha, erneut ins Exil zu flüchten. Im Februar 1942 wird sie von den Nazis verhaftet und am 21. Februar in Babyn Jar erschossen. 1946 erscheint ihr erstes Lyrikbändchen in München, herausgegeben von „displaced persons“ der ukrainischen Exilgemeinde. Erst 1992 werden ihre Gedichte erstmals in der Ukraine publiziert. Ihr Portrait findet sich heute auf einer ukrainischen Banknote.

Stepan Bandera

Stepan Bandera wurde 1909 als Sohn eines griechisch-katholischen Pfarrers im damals noch österreichischen Galizien geboren. Bereits Anfang der 1930er Jahre stieg er zum Landesleiter der “Organisation ukrainischer Nationalisten” (OUN) in Polen auf und unterstand nur der OUN-Führung im Exil. Die OUN kämpfte im Untergrund für die ukrainische Unabhängigkeit. Sie war eine vor allem unter der ukrainischen Jugend verbreitete illegale Organisation, die am Vorabend des Zweiten Weltkriegs mehrere tausend Mitglieder hatte. Die OUN unterstützte 1941 den deutschen Angriff auf die Sowjetunion, da sie hoffte, mit deutscher Unterstützung einen ukrainischen Staat gründen zu können. Die Deutschen lehnten die Staatsgründung jedoch ab. Bandera wurde verhaftet, nach Berlin gebracht und bis in den Herbst 1944 in einer Sonderabteilung des KZ Sachsenhausen inhaftiert.

Stepan Bandera blieb nach dem Zweiten Weltkrieg in den westlichen Besatzungszonen und später in der Bundesrepublik Deutschland. Er stand weiterhin an der Spitze der OUN. Schließlich wurde Bandera im Oktober 1959 in München von einem KGB-Agenten ermordet. Damit wurde er zu einer Art Märtyrer im Kampf gegen die sowjetische Unterdrückung der Ukraine. Gleichzeitig blieb er im ukrainischen Exil jedoch eine umstrittene Person.

Der russische Vorwurf des “ukrainischen Faschismus” diente in den vergangenen zwei Jahrzehnten einem imperialen Herrschaftsanspruch über die Ukraine. Im Bestreben, die eigene Geschichte und Unabhängigkeit dagegen zu verteidigen, fanden auch Belege über tatsächliche Verbrechen der OUN oft keinen Glauben. Das verhinderte nicht selten die Einsicht, dass die Ideologie und Praxis der OUN und Bandera als historische Person nicht als Vorbilder eines an Demokratie und Rechtsstaatlichkeit orientierten Gemeinwesens taugen.

Tatsächlich hat der russische Krieg gegen die Ukraine nun aber mehr als deutlich gezeigt, dass die Gefahr eines neuen Faschismus nicht aus einer unkritischen Verehrung Banderas und der OUN in der Ukraine hervorgeht, sondern aus der fehlenden kritischen Auseinandersetzung mit russischer und sowjetischer imperialer Herrschaft und sowjetischen Massenverbrechen in Russland.

Eine ausführliche Version dieses Kurztextes finden Sie HIER.

Mykola Dmytrowytsch Leontowytsch

*1877 in Monastyrok im Russischen Kaiserreich; †1921 in Markiwka in der Ukraine. Leontowytsch war ein ukrainischer Komponist, Chorleiter und Lehrer. Seine internationale Bekanntheit geht heute vor allem auf sein Werk Schtschedryk zurück. Seine Melodie erinnert mit ihrer immer wiederkehrenden kleinen Terz an Weihnachtsglöckchen und ist deshalb in der angelsächsischen Welt auch als „Carol of the Bells“ bekannt, nicht zuletzt durch den Film „Kevin – Allein zu Haus“ von 1990.

Nach einem theologischen Studium arbeitete Leontowytsch zunächst als Lehrer, entschloss sich aber bald zu einem Musikstudium, für das er Kurse in Sankt Petersburg und Kiew besuchte. Dort erwarb er sich schnell den Ruf eines versierten Chorleiters.

In seinem kreativen Schaffen hinterließ Leontowytsch über 150 Kompositionen für Chöre. Sein gesamtes Werk ist stark religiös und ukrainisch-national geprägt. Mit Vorliebe interpretierte und vertonte er ukrainische Volkslieder und Gedichte. Des Weiteren komponierte er Kantaten und weitere kirchliche Werke. Seine ukrainische Oper Na russaltschyn velykden konnte er nie fertigstellen. In der Nacht vom 22. auf den 23. Januar 1921 wurde Leontowytsch im Alter von 43 Jahren im Haus seiner Eltern von einem Agenten des sowjetischen Geheimdienstes Tscheka erschossen. Er gehört damit zu einer großen Menge ukrainischer Intellektueller, die nach der Niederschlagung der ersten unabhängigen ukrainischen Republik durch die Sowjetunion verfolgt und getötet wurden.