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Nikolaj Schultz: Landkrank

Auszug aus „Landkrank“ (Suhrkamp Verlag 2024). Ein Essay des in Paris lebenden dänischen Soziologen Nikolaj Schultz: Über Schlaflosigkeit und Schuld im Anthropozän.

Das Anthropozän ist offenbar kein guter Ort zum Schlafen. Selbst wenn ich erschöpft bin, habe ich doch die Hoffnung, ich könnte das Beste daraus machen und arbeiten, wie ich es normalerweise tue, wenn ich nicht schlafen kann, doch wenn ich mich auf die Seite rolle und zum Aufstehen bereitmache, fällt mir ein, dass auch dieser Bereich meines Lebens von dem Spuk befallen ist. Gestern Morgen wurde mir klar, dass mein uralter Wunsch – meinen Namen auf dem Cover eines in einer Pariser Buchhandlung ausgestellten Buches zu sehen – mich über Hunderte von Kilometern in einen alten Wald versetzt, durch dessen Abholzung ich zur Entwaldung beitrage. Mit jedem Wort, das mit einer von weither geholten Druckerschwärze auf Papier gedruckt wird, gelangen flüchtige organische Verbindungen in die Atmosphäre. Mit jeder einzelnen Seite des von mir geschriebenen Buchs werde ich immer tiefer in diese Fragen verstrickt – vielleicht nur ein wenig, aber genug, um ein aktiver Teilnehmer and der Entfaltung der planetarischen Notlage zu sein.

Sirenen werden lauter und verschwinden wieder, als ein Rettungswagen unten auf der Straße vorbeirast. Ich bin jetzt hellwach. Als ich da im Bett sitze, die Hände zwischen meinen Schenkeln verschränkt, scheint mir das einzig Stabile, das noch geblieben ist, die Wand zu sein, an die ich mich lehne. Ich habe meine Orientierung und meinen Halt verloren. Hinter mir, vor mir, neben mir, oben am Himmel und unter meinen Füßen sehe ich nichts als Anzeichen dieses Durcheinanders. Wohin ich den Blick oder meine Fantasie auch wende, überall erkenne ich die verstörenden Spuren meines Seins und Tuns. In der Dunkelheit sehe ich nur noch verschwommen, und ich habe das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen. Diese Probleme folgen meinen Fußabdrücken. Nein, schlimmer noch, sie sind meine Fußabdrücke. Wie kann ich irgendetwas anstreben, wenn alle möglichen Blickwinkel mich an die Punkte des Lebens erinnern, die ich störe? Wie kann ich des Nachts träumen, wenn meine letzten Gedanken moralische Schwindelgefühle wegen der Kosten meines Schlafes in mir auslösen? Wie kann ich bei Tage träumen, wenn mich das, was mich morgens aufweckt, noch tiefer in die Katastrophe verstrickt?