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MK:

Podcast Female Peace Palace – Internationaler Frauenfriedenskongress von 1915

Erinnerungskultur und feministischer Widerstand bis heute

Feministischer Widerstand in einer von patriarchaler Gewalt geprägten Welt, Internationaler Frauenfriedenskongress 1915 und gemeinsam einen Friedenspalast bauen: darum geht es im Podcast Female Peace Palace von Fabienne Imlinger. Welchen Fragen geht sie in den sechs Folgen warum nach? Welche Querbezüge gibt es zwischen Vergangenheit und Gegenwart? Was wird erinnert, was vergessen?

Der Podcast begleitet das kooperative Projekt Female Peace Palace der Münchner Kammerspiele und der Monacensia.

Internationaler Frauenfriedenskongress 1915 in Den Haag. Foto: LSE Library, WILPF/2011/18.

Internationaler Frauenfriedenskongress 1915 in Den Haag
Foto: LSE Library, WILPF/2011/18

Vermutlich kennen Sie weder die Frauen auf diesem Foto noch den Anlass, der sie zusammengebracht hat. Der lange Tisch, die Blumenbouquets, die ernsten Mienen legen einen offiziellen Grund für das Treffen nahe.

Die Frauen auf diesem Foto sind im April 1915 aus zwölf, vor allem europäischen Nationen nach Den Haag gereist, um dort einen Internationalen Frauenfriedenskongress abzuhalten. Sie wollen das Kriegstreiben in Europa nicht hinnehmen; wollen ein Zeichen setzen und trotz der nationalistischen Euphorie in ihren Heimatländern gemeinsam über Wege zum Frieden debattieren.

Dreizehn Frauen sitzen an diesem Tag auf dem Podium; im Parkett und auf der Tribüne sind es noch weit mehr. Etwa 1200 Delegierte versammeln sich in Den Haag, dazu kommen täglich Hunderte Besucher*innen. Zum Vergleich: 1907 nehmen an der Zweiten Haager Friedenskonferenz ungefähr 250 Personen teil.

Und noch ein Vergleich, der erlaubt, das Ungeheuerliche dieses Fotos zu erfassen: An der von Zar Nikolaus II. angeregten Ersten Haager Friedenskonferenz im Jahr 1899 nimmt auch eine der Gallionsfiguren der Friedensbewegung teil: Bertha von Suttner. Ihr Buch „Die Waffen nieder“ (1889) ist schon damals ein internationaler Bestseller und gehört auch heute noch zum Kanon der Antikriegsliteratur. Doch hat von Suttner kein Rederecht auf dieser Friedenskonferenz. Sie wohnt den Debatten der ausschließlich männlichen Redner von der Tribüne aus bei.

Das ist die politische und gesellschaftliche Realität zu Beginn des 20. Jahrhunderts: Weiße Männer machen Politik, und sie machen auch den Krieg. Meistens sitzen sie dabei an langen Tischen – bis heute sitzen sie dabei an langen Tischen, in Moskau, München und anderswo.

Die Frauenrechtlerinnen, die den Kongress organisieren, haben also kein politisches Mandat. Frauen haben 1915 ja noch nicht einmal das Wahlrecht. Der Kongress wird im Vorfeld in der Presse diffamiert, und die teilnehmenden Frauen werden als Vaterlandsverräterinnen beschimpft. Ein Großteil der britischen Delegation kann gar nicht anreisen, weil ihnen die Ausreise verweigert wird. Trotzdem kommen sie am 28. April 1915 in Den Haag zusammen. Sitzen an diesem langen Tisch. Um zwischen Kübelpalmen und Blumenbouquets ihre Stimme zu erheben.

Nach vier Tagen haben sie sich auf eine Reihe von Forderungen verständigt, die von erstaunlicher Weitsicht zeugen. Die darin formulierten Resolutionen lesen sich wie feministische Außenpolitik avant la lettre. So wird beispielsweise Vergewaltigung explizit als ein Mittel der Kriegsführung benannt und verurteilt. Oder es wird die Einrichtung eines internationalen Gerichtshofes gefordert. Bis heute markiert der Kongress einen Meilenstein in der Völkerrechtsideengeschichte. (1)

Das kooperative Projekt Female Peace Palace

Es ist dieser visionäre, ja revolutionäre Geist des Internationalen Frauenfriedenskongresses, der das Projekt Female Peace Palace inspiriert. Auf Initiative der Münchner Kammerspiele und der Monacensia hin soll im Frühjahr 2023 gemeinsam mit internationalen und lokalen Künstler*innen, Aktivist*innen und Wissenschaftler*innen ein imaginärer Friedenspalast errichtet werden.

Wie sieht feministischer Widerstand in einer von patriarchaler Gewalt geprägten Welt aus? Dieser Frage gehen die Beteiligten nach:

  • in Theaterproduktionen und künstlerischen Interventionen,
  • in einem Symposium,
  • in einem Workshop-Camp,
  • in einer Reihe von Web- und Social-Media-Angeboten – auffindbar unter dem Hashtag #FemalePeacePalace –, zu denen auch der Podcast Female Peace Palace gehört, der ab 8. März online geht.

Für den Podcast begebe ich mich in sechs Folgen gemeinsam mit meinen Gesprächspartner*innen auf Spurensuche; erkunde mit ihnen Räume des Widerstands und feministische Strategien für die Zukunft.

Gemeinsam einen Friedenspalast erbauen – was heißt das?

Worum es im Podcast gehen soll, möchte ich an folgendem Beispiel veranschaulichen. Bei meinen Recherchen zum Internationalen Frauenfriedenskongress von 1915 stolpere ich über ein Detail. Und zwar über die Palmen, die im Hintergrund der eingangs erwähnten Aufnahme zu sehen sind. Das Foto ist emblematisch geworden: Wenn Sie „Frauenfriedenskongress 1915“ googeln, taucht dieses Bild auf.

Was ist das für ein Dekor, frage ich mich, was ist das für ein Ort?

Und ich entdecke, dass der Frauenfriedenskongress gar nicht im Haager Friedenspalast abgehalten wurde, diesem von Andrew Carnegie finanzierten und 1913 erst fertiggestellten Prachtbau. Es waren so viele Frauen der Einladung gefolgt, dass die Organisatorinnen umdisponieren mussten und der Kongress schließlich im Festsaal des Dierentuin, des Haager Tierparks, stattfindet. Daher die Palmen.

Ich stoße auf ein anderes Foto, das nicht nur einen größeren Ausschnitt des Saales zeigt, sondern auch die vielen Teilnehmerinnen.

AddF – Archiv der deutschen Frauenbewegung, Kassel, Sign.: A-F2-00052; Quelle: Bericht des 1. Internationalen Frauenkongresses Den Haag 1915, hrsg. vom Internationalen Frauenkomitee für Dauernden Frieden, Amsterdam 1915

Die Feministinnen passen also nicht in den Friedenspalast, den Ort der männlichen Macht und Repräsentanz. Es bedarf eines anderen Raums; einer anderen Art von Friedenspalast.

Mir kommen die Worte der Schwarzen Feministin Audre Lorde in den Sinn, die sie anlässlich einer Konferenz im Jahr 1979 an weiße Feministinnen richtet:

„For the master’s tools will never dismantle the master’s house. They may allow us temporarily to beat him at his own game, but they will never enable us to bring about genuine change. And this fact is only threatening to those women who still define the master’s house as their only source of support.“

Audre Lorde

Wenn ich mit Audre Lordes Worten im Kopf neuerlich auf das emblematische Foto der dreizehn Frauen blicke, stelle ich mir unweigerlich die Frage: Wer ist eingeladen, mit am Tisch zu sitzen und zu sprechen – und wer nicht? Was gerät aus meinem Sichtfeld, in dem Moment, in dem ich dieses Foto ansehe? Nicht nur die vielen Frauen, die im Publikum sitzen. Sondern all diejenigen, die überhaupt nicht anwesend sind, weil sie in Fabriken arbeiten oder die Häuser anderer Frauen putzen oder weil sie im kolonialen, rassistischen Denken von 1915 noch nicht einmal als Menschen gelten.

Womöglich reicht es nicht, möglichst viele einzuladen, mit am Tisch zu sitzen. Vielleicht geht es vielmehr darum, den Tisch selbst infrage zu stellen – dieses Symbol staatlicher, patriarchaler Macht. Wie sähe ein Friedenspalast ohne Tische aus; ein Friedenspalast ohne Insignien der Macht? Wie können andere Orte, andere Formen der Gemeinschaft und des Austausches entstehen?

Audre Lordes Worte ernst zu nehmen, heißt deshalb auch feministische Widerstandsbewegungen selbst zu befragen. Es gilt, nach den Ausschlüssen und blinden Flecken und den Privilegien der im Dierentuin versammelten weißen, bürgerlichen, westlichen Frauenrechtlerinnen zu fragen – Privilegien und Ausschlüsse und blinde Flecken, die mitnichten der Vergangenheit angehören.

Ja: Die Frauenrechtlerinnen tagen nicht im Friedenspalast. Doch sie tagen im nicht weniger pompösen Palast des Haager Tierparks. Dieser 1863 errichtete Bau aber ist – wie viele andere botanische und zoologische Gärten des 19. und 20. Jahrhunderts (3) – nicht denkbar ohne Kolonialismus; er ist Ausdruck einer kolonialen Aneignung der Welt. Auch dafür stehen die Palmen im Bildhintergrund. Und die dreizehn Frauen, für die sie das Dekor abgeben, haben bei aller feministischen Radikalität und Weitsicht kein Bewusstsein für den kolonialistischen Rahmen, in dem ihr Kongress stattfindet – oder zumindest kommt es nicht in ihren Forderungen zum Ausdruck. (4)

Es ist nicht viel mehr als ein Zufall, aber trotzdem: Der Ortswechsel vom Friedenspalast in den Tierpark und die Verschiebung der Wahrnehmung zwischen den beiden Fotos stehen als Sinnbild dafür, worum es im Podcast Female Peace Palace geht.

  • Was tritt zutage, wenn sich der Blickwinkel ändert?
  • Was entzieht sich der Sicht?
  • Was wird erinnert, wer vergessen?
  • Wie prägen Orte unser Denken; unsere Wahrnehmung; unsere Art, Widerstand zu leisten?

Podcast Female Peace Palace – die Folgen im Überblick

  1. Um feministische und anti-rassistische Kämpfe in Deutschland, um die Notwendigkeit intersektionaler Kämpfe und die Bedeutung von Audre Lorde geht es in meinem Gespräch mit Laura Freisberg von den Frauenstudien München, Modupe Laja vom Netzwerk Rassismus- und Diskriminierungsfreies Bayern e.V. und Diana-Sandrine Kunis vom Social Justice Institute München.
  2. Die Regisseurinnen Jessica Glause und Miriam Ibrahim befrage ich nach der künstlerischen Auseinandersetzung mit der Vergangenheit und dem kritischen Potenzial dieser Auseinandersetzung für die Gegenwart.
  3. Mit den Wissenschaftlerinnen Brigita Malenica und Olena Petrenko spreche ich über die Bedeutung von feministischem und weiblichem Widerstand, sowie über Krieg, Nationalismus und Geschlecht im Kontext der Balkankriege und des ukrainischen nationalistischen Untergrunds.
  4. Mit Eva Bahl von münchen postcolonial, dem Kurator Sebastian Huber und mit Sapir von Abel von ausARTen unterhalte ich mich über Zugänge zur Vergangenheit, die einer Vielfalt an Perspektiven Raum geben, und darüber, wie sich Erinnern und Vergessen mitunter miteinander verschränken.
  5. In meinem Gespräch mit den beiden Künstlerinnen Manuela Illera und Michaela Melián geht es um Denkmäler und Erinnerungskultur im öffentlichen Raum und über künstlerische Formen des Umgangs mit einer Geschichte der Gewalt.
  6. Wie die Zukunft der Erinnerung in Zeiten der Digitalisierung aussehen kann, und wie sich blinde Flecken und Ausschlüsse im Digitalen reproduzieren, darüber spreche ich mit der Datenjournalistin Katharina Brunner vom Forum Queeres Archiv München, mit Heike Gleibs von Wikimedia Deutschland und mit dem Archivleiter der Monacensia Thomas Schütte.

Foto: Benedikt Feiten

Fabienne Imlinger ist Literaturwissenschaftlerin und betreibt zusammen mit Martina Kübler den Podcast „Ich lese was, was du auch liest“. Sie forschte und lehrte an der LMU im Bereich der Gender und Postcolonial Studies. Für ihr Romanprojekt „Alles über meine Eltern“ erhielt Fabienne Imlinger das Literaturstipendium der Landeshauptstadt München 2021.

Quellen

(1) Siehe dazu: Ulrike Lembke (2015), Frauenfriedenskongress 1915 – auch ein Beitrag zur Geschichte des Pazifismus als Völkerrechtsidee, in: Archiv des Völkerrechts Bd. 53, Nr. 4.

(2) Audre Lorde (1983), ‘The Master’s Tools Will Never Dismantle the Master’s House’, pp. 94–101, in Cherrie Moraga and Gloria Anzaldua (eds), This Bridge Called My Back: Writings by Radical Women of Color (New York: Kitchen Table Press).

(3) Für einen Überblick zur Kolonialgeschichte botanischer Gärten siehe https://postcolonialpotsdam.org/2020/03/05/botanischer-garten-1/
und https://postcolonialpotsdam.org/2020/03/05/botanischer-garten-2/

(4) Die Juristin Ulrike Lembke weist darauf hin, dass der Frauenfriedenskongress in „seinen Beschlüssen zwar das Selbstbestimmungsrecht der Völker“ betont und „Besetzungen gegen den Willen der männlichen und weiblichen Bevölkerung“ verurteilt (Lembke, op.cit., S. 433). Mit diesen Besetzungen dürfte aber, so Lembke weiter, eher das zum damaligen Zeitpunkt von Deutschland besetzte Belgien gemeint sein. Interessant in diesem Zusammenhang ist der Vergleich mit dem 14-Punkte-Programm des US-amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson. 1918 skizziert er in einer Rede die Grundzüge einer Friedensordnung für die Zeit nach dem Krieg. Dieses 14-Punkte-Programm weist zahlreiche Überschneidungen mit den Beschlüssen des Frauenfriedenskongresses auf. Anders als jene aber spricht „Wilson explizit die Klärung kolonialer Ansprüche unter gleichberechtigter Einbeziehung der Interessen der betroffenen Bevölkerung an“ (Lembke, op.cit, S. 433).